Zum Inhalt der Seite

Gutachterauswahl im IV-Verfahren

Im Rahmen eines IV-Verfahrens wurde bei einer schweizerischen Gutachtensstelle ein orthopädisch-psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben. Der dort tätige Spezialarzt (Orthopädie), welcher nicht den besten Ruf als integre Persönlichkeit hat, hat unsere Mandantin untersucht. Als zwei Jahre nach dieser Untersuchung eine weitere Revision der Invalidenversicherungsleistungen anstand, haben wir beantragt, dass zur Frage der Erwerbsfähigkeit unserer Mandantin ein neues unabhängiges Gutachten eingeholt wird. Der ärztliche Dienst der IV empfahl die Einholung eines Verlaufsgutachtens bei dem gleichen, oben bezeichneten Spezialarzt, was uns als Rechtsvertreter entsprechend mitgeteilt wurde. Wir haben uns im Namen unserer Mandantin gegen diese Gutachterauswahl ausgesprochen, Alternativvorschläge gemacht und im Falle der „Abweisung“ unserer Einwände eine schriftliche Verfügung beantragt.

Es folgte sodann ein längerer Schriftwechsel zwischen uns und der IV-Anstalt. Die IV-Anstalt beharrte im Wesentlichen darauf, den genannten Sachverständigen zu bestellen, erliess aber nicht wie beantragt eine Verfügung. Nachdem unsere Mandantin sich nicht von besagtem Sachverständigen begutachten liess, verfügte die IV-Anstalt die Einstellung der Invalidenrente infolge Verletzung der Mitwirkungspflicht. Unserer Vorstellung gegen diese Verfügung gab der Rechtsdienst der IV-Anstalt keine Folge.

Gegen diese Entscheidung haben wir im Namen unserer Mandantin Berufung an das Fürstliche Obergericht erhoben und dabei insbesondere die Mangelhaftigkeit des Verfahrens gerügt. Das Obergericht hat unserer Berufung Folge geben. Es ist der Ansicht, dass es den Grundsätzen eines fairen Verfahrens widersprechen würde, bei unterschiedlicher Ansicht der IV und der versicherten Person über den zu beauftragenden Gutachter kein Zwischenverfahren vorzusehen und dass die IV eine, wenn auch nicht abgesondert anfechtbare, Zwischenverfügung über die Ablehnung des Sachverständigen zu erlassen gehabt hätte, weil dies von der Versicherten bzw. deren Rechtsvertreter bei der ersten möglichen Gelegenheit so beantragt wurde.

Einem gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs der IV-Anstalt hat der Fürstliche Oberste Gerichtshof keine Folge gegeben. Im Unterschied zum Obergericht sah jedoch der OGH für die gegenständliche Frage eine gesetzliche Handhabe in Art. 73 IVV und stellte fest, dass mit der Anordnung eines Gutachtens oder mit der Bestimmung eines Gutachters über wesentliche Rechte oder Pflichten einer versicherten Person befunden wird, welche den Erlass einer Verfügung im Sinne von Art. 73 IVV notwendig macht; dies insbesondere dann, wenn die versicherte Person nicht damit einverstanden ist. Damit werde auch der Entwicklung der Rechtsprechung Rechnung getragen, wonach die Mitwirkungsrechte (der Versicherten) vermehrt Bedeutung erlangen.

(Die Entscheidung des OGH ist publiziert in LES 2020, 115)

Ruggell, 31. Oktober 2020 LO